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Darf ein schwarzes Mädchen Prinzessin sein?

Sie waren es leid. Geburtstag, Weihnachten, Ostern, immer suchten Anna Cardinal und Sina Hätti wochenlang Spielzeug, mit dem sich ihre afrodeutschen Kinder positiv identifizieren können. Oft vergeblich. Dann gingen sie die Sache systematisch an und lernten viel über den deutschen Spielzeugmarkt.  Das Ergebnis: Die beiden Vorstandsfrauen des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften in Hamburg erstellten eine wertvolle Einkaufshilfe für Eltern und Kitas – die Spielzeug-Positivliste.

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Darf ein schwarzer Mann Polizist sein? Kinder stellen solche Fragen. Wie der kleine Junge, der mit seinem Vater auf USA-Urlaub war. Cornelia Pries hat den Vater auf dem Elternworkshop „Schwarze Kinder stark machen“ erlebt. Dort erzählte er, wie er und sein Sohn aus dem Hotelzimmer guckten und einen schwarzen Polizisten sahen. „Papa, darf der das überhaupt?“ Was sein Sohn mit dieser Frage meinte, verstand der Vater im ersten Moment nicht. Im zweiten wurde ihm klar: Der Junge wusste nicht, ob ein schwarzer Mann Polizist sein darf. Er hatte zuvor nie einen gesehen.

 

Cornelia Pries ist Geschäftsführerin des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften in Hamburg. Sie erzählt die Geschichte am Familiennachmittag des Verbandes. Das Thema ist „Lieblingsspielzeuge“. Ein deutsch-gambianisches Paar ist gekommen, eine nigerianische Mutter mit ihrer vierjährigen Tochter, die beiden Vorstandsfrauen mit ihren Kindern Joan und Raja. Joan packt zwei Polizeiautos aus und eine ganze Mannschaft schwarzer Polizisten. Der mit dem Mikrofon sei vom SEK, erklärt der Sechsjährige. Einer seiner Polizisten hat sogar ein Seil dabei, mit dem er sich aus dem Hubschrauber abseilen kann.

 

Auch Joan war sich nicht  sicher, ob ein schwarzes Kind Polizist werden kann, erinnert sich seine Mutter Sina Hätti. Das änderte sich, als sie ihm schwarze Polizisten von Playmobil schenkte. Die hat sie nicht mal eben im Spielzeugladen gekauft, sondern extra bestellt. Auch Anna Cardinal hat die Püppchen für ihre Tochter Raja erst nach mühsamer Recherche gefunden. Raja hat sich lange überreden lassen, ehe ihre Mutter die Püppchen für diesen Nachmittag einpacken durfte. Lieber hätte sie die die schwarze Kleinfamilie im ihrem Puppenhaus gelassen. Damit sie nicht verloren gehen.

 

Schwarze Spielfiguren sind eine Rarität

Das ist kein abwegiger Gedanke. Im Spielzimmer des Verbandes ist die Welt vielfältig. Cornelia Pries nimmt einen Schulbus aus dem Regal und sucht die Fahrgäste zusammen: schwarze, asiatische, weiße Kinder. An der Wand hängt ein Wimmelbild, auf dem Menschen aus vielen Nationen zu sehen sind. Das Bilderbuch „That’s my mom“ zeigt auf dem Titel ein schwarzes Mädchen mit einer weißen Mutter. Hier, wo sich regelmäßig einzelne Elternteile mit ihren Kindern zum begleiteten Umgang treffen, verschwinden die schwarzen Figuren ziemlich schnell, sagt Cornelia Preis: „Wir sind dann nicht sauer.“ Die wenigsten Kinder haben Eltern, die sich durchs Internet wühlen und schließlich im Ausland Spielzeug bestellen.

 

In Deutschland ist es kaum zu finden. Anna Cardinal und Sina Hätti stießen bei ihren Recherchen immer wieder auf Merkwürdigkeiten. Da gab es in Frankreich, Dänemark oder Schweden schwarze oder chinesische Prinzessinnen. Im deutschen Paket desselben Herstellers waren alle Prinzessinnen weiß und blond oder bestenfalls brünett. Oder Spielzeugläden boten exotische schwarze Charaktere an wie afrikanische Tänzer oder Krieger mit Lendenschurz und Speer. Normale schwarze Menschen in einem normalen deutschen Leben gab es nicht, schon gar nicht als Ärztinnen oder Polizisten. Oft reagierte das Verkaufspersonal auf die Frage nach schwarzen Charakteren peinlich berührt oder  verständnislos „Das war ihnen richtig unangenehm“, sagt Anna Cardinal“. Immer wieder bekamen sie den Tipp, doch in den USA oder Frankreich zu kaufen.

 

Das wollten sie ändern – auch um ihren Kinder vorzuleben, dass man Dinge ändern kann. Sie wollten den deutschen Herstellern verdeutlichen, dass es auch hierzulange einen Markt gibt. Und: „Wir wollten unseren Kindern zeigen, dass es Spielzeug gibt, dass aussieht wie sie und nicht nur wie viele andere“, sagt Anna Cardinal. Sie beschlossen, aus ihren privaten Recherchen ein Projekt zu machen und eine Spielzeug-Positivliste zu erstellen, die auf vorurteilsbewusstes Spielzeug und die Bezugsquellen hinweist.

 

Es liegt nicht nur an den Herstellern …

Mit diesem Anliegen schrieben sie alle großen und die meisten kleinen Hersteller an. Sie fragten nach Spielzeug, das ihren Kriterien entsprach: Verortet in Deutschland, keine Klischees, schwarze Kinder als Teil unserer  Gesellschaft – das war ihnen am wichtigsten. Mit dem schwarzen Flüchtlingskind im Kinderbuch wollten sie sich nicht zufrieden geben, eher suchten sie ein schwarzes Kind, das ein Meerschweinchen großzieht oder beim Buchstabierwettbewerb mitmacht. Sie suchten Spielzeug und Bücher, in denen schwarze Kinder und Erwachsenen wichtig sind und keine Nebenrollen spielen, in denen sie mit natürlicher Haarstruktur dargestellt werden und nicht ein deutsches Schönheitsideal übergestülpt bekommen.

 

Was dann kam, hat sie überrascht: „Extrem viele Firmen haben großes Interesse gezeigt“, sagt Sina Hätti. Offenbar, so stellten die Frauen fest, liegt es nicht am Willen der Firmen, sondern an der Nachfrage der Kunden. So bot zum Beispiel der traditionelle Puppenhaushersteller Caco an, einzelne Puppen anzufertigen. Immerhin hat er schon heute eine Großfamilie schwarzer Puppen im Angebot. Auf Wunsch würden sie auch Feuerwehrmänner oder andere attraktive Berufe in Schwarz anfertigen. Auch große Hersteller wie Lego oder Playmobil sagten zu, zu normalen Preisen einzelne schwarze Puppen, die in deutschen Sets nicht vorkommen, zu liefern.

 

… es fehlt die Nachfrage

Wie schwer es ist, die Kunden zu erreichen, erfuhr Anna Cardinal in einem Gespräch mit dem Holzfiguren-Hersteller Ostheier. Sie hätten zum Beispiel zu Weihnachten schwarze Engel produziert, erzählte der Enkel der Gründerin,  sie seien nicht gekauft worden. Hin und wieder hätten schwarze Kinder angerufen. Dann habe er ein paar Figuren vom Band genommen, sie in Schwarz produzieren lassen und den Kindern geschenkt. „Er war total interessiert in höheren Auflagen zu produzieren“, sagt Anna Cardinal.

 

Wie aber schafft man einen Markt? In Schweden, Dänemark oder Frankreich gibt es ihn. Dort sind die Kindergärten verpflichtet, Spielzeug einzukaufen, das unter anderem Diversität abbildet. So wundert es nicht, dass die dortigen Spielzeugsets nicht nur weiße Figuren enthalten. Dort würde nicht passieren, was die nigerianische Mutter vom Erzieher ihrer kleinen Tochter erfahren hat. Die Kleine ist das einzige schwarze Kind im Kindergarten und wollte, wie die anderen Mädchen auch, eine Prinzessin sein. Was genau passiert ist, weiß auch der Erzieher nicht. Nur, dass viele Kinder ihn gefragt hätten, wie das denn sein könnte, wo es doch gar keine schwarzen Prinzessinnen gibt. Er habe ihnen erklärt, dass es Prinzessinnen in verschiedenen Farben gibt. Und der Kindergarten hat ein Buch angeschafft, in dem Feen mit dunklerer Haut abgebildet sind. Prinzessinnen hat er nicht gefunden.

 

Kindergärten könnten Vorreiter sein.

Die aufmerksame Reaktion des Kindergartens ist nicht selbstverständlich, sagt Cornelia Pries. Sie weiß aus der Beratung, dass viele Eltern auf Widerstand stoßen, „weil die Kindergärten Angst vor diesen Themen haben.“ Das möchten Anna Cardinal und Sina Hätti ändern. Von Eltern deutsch-afrikanischer Kinder haben sie schon so viel Begeisterung geerntet, dass sie nun ihre Spielzeug-Positiv-Liste in Kindergärten vorstellen wollen. „Kindergärten und Schulen haben einen Bildungsauftrag und schaffen für viele Kinder Spielzeug an“, sagt Anna Cardinal. So könnte ein Markt entstehen. Eine Stiftung hat ihnen schon eine Spielzeug-Kiste voller Anschauungsmaterial finanziert. Nun hoffen sie auf Geld vom Bundesfamilienministerium, um ihre Tournee zu starten.

 

Was vorurteilsbewusstes Spielzeug bewirkt, sehen die beiden täglich zuhause. Als Anna Cardinal für ihre Tochter endlich einen schwarzen Puppenhausvater gefunden hatte, beobachtete sie, wie Raja anfing, ihren Alltag nachzuspielen. Der schwarze Vater geht zur Arbeit, macht den Abwasch und kocht, weil die Mutter zur Uni geht. Für Joan waren weiße Puppen immer andere Kinder. „Er hat nie sich selber gespielt“, sagt Sina Hätti. Mit einem schwarzen Polizisten am Steuer und zwei kleinen schwarzen Puppen auf dem Rücksitz tut er es. Das sind Raja und Joan.

 

Die Spielzeug-Positivliste gibt es im Netz auf der Seite der Regionalgruppe Hamburg: https://www.verband-binationaler.de/fileadmin/Dokumente/PDFs/Spielzeugliste_oeff_kleiner__3_.pdf

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